Dienstag, 15. September 2015

Balti-Tour 2015: Bushwhacking in Litauen

Wenn im Listing eines Caches in den USA „Bushwhacking“ steht, dann muss man sich auf verwachsene Wege, schwer durchdringbares Unterholz, dornenreiche Büsche und ähnliches einstellen. Ein „Bushwhacker“ d.h. ein Buschmesser oder eine Machete sind zwar nicht erforderlich, aber kurzbehost und mit dünnem T-Shirt sollte man so eine Runde lieber nicht angehen.

Sandrius, der Owner des NGRPJ - Powertrails in Litauen hat das Listing für die Wanderung auf der aufgelassenenen Trasse der Schmalspurbahn immerhin mit den Attributen „nicht Rollstuhltauglich“, „nicht im Winter“ und „Dornen“ ausgestattet und wenn man die Fotos in der Galerie der einzelnen Caches betrachtet, dann weiß man auch, was einem erwartet.

Listing Foto by Sandrius - So sieht es heute nicht mehr aus
Rund 160 km lang ist das Streckennetz der Schmalspurbahnen in Litauen. 1891 begann dort die Eisenbahngeschichte und schon 1899 wurde Panevezys, auf halber Strecke zwischen Riga in Lettland und der litauischen Hauptstadt Vilnius gelegen, an das Streckennetz angeschlossen.

Statt der bei uns üblichen Spurweite von 1.435 mm hatte man aus Kostengründen eine Schmalspur von 750 mm gewählt und Schritt für Schritt bzw. Schwelle für Schwelle das Streckennetz ausgebaut. Die Kosten für eine Schmalspurbahn betrugen nur rund 1/8 der Kosten für eine Normalspur, unter anderem weil der Rollwiderstand in Gleisbögen geringer ist und damit engere Kurvenradien realisiert werden können.

Als im 1. Weltkrieg Deutschland das Land besetzte, baute das Deutsche Reich aus Gründen der militärischen Infrastruktur weitere Strecken - allerdings mit einer Spurweite von 600 mm. Diese Strecken wurden in der kurzen Zeit der Unabhängigkeit Litauens von 1920 - 1938 auf 750 mm Spurweite umgebaut.

Heute sind in Litauen nur noch weniger als 70 km Strecke im Betrieb. Wo früher Güterzüge mit Quarzsand, Ziegel, Getreide oder Heizöl entlang tuckerten, da fahren heute haupsächlich noch Museumszüge.

Für die 36 km langen Strecke von Panevezys nach Joniskelis mit fünf Haltestellen brauchte der Zug 1:23 h und bei mehr als 11 Kesselwagen für den Heizöltransport musste eine 2. Lokomotive angekuppelt werden. Bei einer Konferenz wurde 1993 dann festgestellt, dass die hölzernen Schwellen teilweise verrottet und der technische Zustand der Strecke kritisch ist. Mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 15 km/Std. allein war es nicht getan und so wurde diese Strecke stillgelegt.

Als Nationales Kulturerbe wird die Strecke heute von fünf Mitarbeitern mehr schlecht als recht betreut. Gegen den Diebstahl von mitunter ganzen Gleisabschnitten sind sie ziemlich machtlos. Die sieben Brücken sind in einem miserablen Zustand. Da brechen schon mal Bohlen durch und Teile fallen nach unten. Mitunter auch Wanderer, so wie Anfang Juli 2015 ein 73-jähriger Mann, der acht Meter von der Eisenbahnbrücke Mazupe stürzte. Das war tödlich.

Vom Bahnhof Panevezys bis nach Mikoliskis, etwas mehr als der Hälfte der Strecke bis zur früheren Endstation in Joniskelis hat Sandrius den Powertrail NGRPJ ausgelegt. 102 Caches gibt es auf der etwa 25 km langen verwilderten und verwachsenen Trasse der Bahn zu finden. Das kann man nur abwandern, denn auch mit einem Fahrrad kommt man nicht durch. Diese anstrengende Wanderung ist vielleicht auch der Grund, warum in mehr als einem Jahr kaum mehr als 60 - 80 Funde geloggt wurden.

Wir haben unser Cachemobil am Bahnhof in Panevezys abgestellt und wollten mit einem Taxi zu unseren Einstiegspunkt fahren und dann zum Bahnhof zurück wandern. Die ganze Strecke wollten wir nicht ablaufen. Das wäre in dieser Jahreszeit auch schlecht möglich meinte Sandrius, den ich per e-mail kontaktierte und der uns auch einige Telefonnummern für Taxis aufgab.

Am neuen Bahnhof in Panevezys stehen nämlich keine. Das ist auch nicht verwunderlich, da pro Woche nur fünf Personenzüge ankommen. Mit dem ersten Anruf hatten wir Pech. Die waren auf Vilnius spezialisiert und auf die versprochene SMS mit Kennzeichen und Fahrername würden wir wohl noch heute warten. Auch der 2. Versuch scheiterte, aber nach fast einer Stunde waren wir mit # 3 erfolgreich. Der Fahrer, ein brummeliger Bär, sprach zwar auch Russisch, aber das konnten wir wiederum nicht. So wurde er mit dem GPS zum Startpunkt unserer Streckenwanderung gelotst. Selten habe ich bisher so ein erstauntes Gesicht gesehen, als wir auf einer sandigen Nebenstraße „in the middle of nowhere“ aussteigen wollten.

Um 13:20 h ging es dann entlich los. Schwellen oder Gleise waren mitunter überhaupt nicht mehr zu erkennen. Die Natur hat die Trasse zurück erobert und bauchhohes Gras, dichtes auch zwischen den Schwellen wachsendes Buschwerk machten jeden Schritt zum Abenteuer. Man musste aufpassen, nicht über die darunter verborgenen Gleise zu stolpern. Die Caches waren zwar fair versteckt, aber bei jedem einzelnen Cache musste die höher gelegene Trasse verlassen und im noch dichteren Unterholz ein paar Meter tiefer gelegen mühsam ein Zugang zum versteckten Döschen gesucht werden. Bei so wenig Cachern gibt es halt keine ausgetretenen Trails.

Dann kam der Regen! Erst leicht nieselnd, dann etwas kräftiger und bei dem Sonnenschein am Start lag die Regenjacke gut verstaut im Auto am Bahnhof. Gegen Ende und schon nahe der Zivilisation dann ein Gewitterguss, der sich gewaschen hat. Glücklicherweise in der Nähe einer Tankstelle, wo wir bei einem Kaffee das Ende des Wolkenbruchs abwarten konnten. 


Nach 10,2 Kilometer und gefundenen 35 Caches waren wir nach über fünf Stunden am Ziel, dem alten Bahnhof von Penevezys bei unserem Cachemobil angelangt und mit diesem Trail statt einem schnellen Drive-In-Cache irgendwo am Straßenrand der Via Baltica ist nun auch Litauen auf der Karte erinnerungswürdig eingefärbt.

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