Fast wie Scherenschnitte zeichnen sich die dunklen Silhouetten der Hochhäuser vor dem grauen Hintergrund des allmählich heller werdenden Horizonts ab. In einzelnen Räumen brennt noch immer Licht und man kann Schreibtische, Regale und die übliche Büroeinrichtung erkennen. Wenn man seinen Kopf nahe ans eigene Fenster lehnt, sieht man weit unten die vom Regen der vergangenen Nacht noch feuchte Straße. Nur vereinzelt und mit großem zeitlichem Abstand spiegeln sich die Scheinwerfer eines Autos im nassen Asphalt. Es ist 4 Uhr morgens und noch schläft Tokio.
Durch den Jetlag zu dieser ungewöhnlichen Zeit hellwach, mache ich mich um 5 Uhr auf den Weg. Früher hätte ich mich im Bett gewälzt, irgendein Fernsehprogramm, das ich sprachlich nicht verstehe, angeschaut oder vielleicht gelesen. Cachen ist ein wunderbarer Sport, um an einen solchen Morgen ungestört die fast noch schlafende Stadt zu erkunden.
Luftlinie sind es nur knapp zwei Kilometer, aber was will das schon sagen. Nur nach Pointer schlendere ich kreuz und quer durch leere Seitenstraßen, froh, das Hotel als Wegpunkt markiert zu haben und somit ohne Probleme zurückzufinden. Die Straßenschilder sind nur in japanischer Sprache und die Orientierung in den gleichartigen kleinen Straßen ist schnell verloren.
An einer Bäckerei duftet es nach frischem Brot und die ersten Einkäufer tapsen noch etwas verschlafen in den Laden. Die Ampeln an den Kreuzungen befehlen ein Halt, aber wenn von nirgendwo ein Auto ankommt, dann kann man diese Anweisungen auch getrost ignorieren.
Vorbei an der Britischen Botschaft, die von einigen japanischen Sicherheitsbeamten rund um die Uhr bewacht wird, führt der Weg in einen Park. Sauber und gepflegt sieht er aus und auch die wenigen Obdachlosen, die dort aus Kartons ihre Schlafstätte haben, halten ihren Bereich gepflegt und in Ordnung. Sie scheinen dort ihren permanenten Wohnsitz zu haben und sollte jemals jemand auf die Idee kommen, einem von ihnen eine Ansichtskarte zu schicken – die Post würde ihn sicher erreichen.
An einer Seite des Parks eine Steinbalustrade und einige Meter tiefer schlängelt sich ein ca. 10 m breiter Kanal.
Luftlinie ist relativ und so wandere ich schon fast eine Stunde durch Tokio, bis mich eine kleine Brücke über diesen Kanal neben einer jetzt schon stark befahrenen größeren Straßenbrücke in Probleme bringt. Viele dieser Brücken gibt es nicht über den Kanal und eine Karte der Stadt habe ich auch nicht. Liegt der Cache auf meiner Seite oder jenseits des Kanals. Ich entscheide mich für den Wechsel und durch das Gelände einer Universität oder eines Instituts bin ich bald wieder in einem kleinen Park. Jogger laufen an mir vorbei und auf einer Wiese macht eine Gruppe von Japanern ihre asiatische Morgengymnastik.
Ich komme näher und schließlich bin ich nur noch knapp 20 m vom Versteck entfernt. Wieder bin ich an einer Balustrade. Der Cache, der liegt aber auf der anderen Seite des Kanals. Pech gehabt.
Zum Zurückgehen hatte ich keine Lust. Aber noch habe ich eine zweite Option. Durch den Hof von einem altem Palast mit einer mindestens 10 cm dicken und 5 m hohen eisenbeschlagenen Holztür orientiere ich mich allmählich nach links und nach 15 Minuten bin ich schon wieder in einem Grünbereich zwischen einer Straße und einem kleinen Fluß. Wie viele Grünflächen und Parkanlagen, wie viele Kanäle und Bäche Tokio doch hat.
In der Morgensonne sitzen fast ein Dutzend Katzen auf Parkbänken oder auf Mauern. Die unterschiedlichsten Farben von rostrot bis schwarz, einfarbig und gescheckt. Fast alle haben ihren Kopf zu mir gedreht und verfolgen mich mit ihren Augen. Komisch, die größer werdende Zahl von Japanern, die vielleicht schon auf dem Weg zur Arbeit sind, die wurden überhaupt nicht beachtet. Bin halt auch für die Katzen ein Exot und rieche anders.
Störend ist der alte Mann, der mit einem Reisbesen den asphaltierten Weg kehrt und nur noch knapp 100 m von mir entfernt ist. Ich setze mich in die Nähe der Katzen, lese nochmals die Beschreibung durch und – eigentlich ein einfaches Versteck – will gezielt am Rande einer Blumenrabatte zugreifen. Aber das war nichts und so sehr ich auch suchte, nirgendwo war die Filmdose zu finden.
Später habe ich dann nachgelesen, dass es auch anderen so ergangen ist und der Cache irgendwo abhanden gekommen ist.
Das Finden ist zwar schön und auch gut für die eigene Statistik. Aber: Der Weg ist das Ziel. Einen erwachenden Morgen in einer Großstadt wie Tokio haben so sicher nicht sehr viele erlebt.
Es dauerte gut weitere 40 Minuten, bis ich mit meinem GPS wieder in das Hotel zurückgefunden habe. Verschwitzt durch die hohe Luftfeuchtigkeit und etwas müde von meinem rund 7 ½ Kilometer langen Marsch. Eine heiße Dusche und dann kurz vor acht Uhr in das 45. Stockwerk zum Frühstücken.
„Es müsste eigentlich schön sein, eine Stadt so allmählich erwachen zu sehen“ meinte mein australischer Kollege. „Ja, das kann ich mir auch vorstellen“ anwortete ich lächelnd.
Schön und interessant geschrieben!
AntwortenLöschenGerne mehr davon!
Hallo Wolf.
AntwortenLöschenDu hast ja eine lyrische Ader!
Diese Art Reiseberichte solltest Du auf jeden Fall ausbauen - es liest sich einfach zu schön!
Grüße,
Balmus